Die Erforschung des Vitamin D Teil II: Von chemischer Struktur zu biologischer Funktion
In den späten 1920er Jahren gelang ein weiterer Durchbruch: Der deutsche Chemiker Adolf Windaus isolierte zusammen mit seinem Team eine antirachitische Substanz aus bestrahlten Pflanzensterolen und nannte sie zunächst Vitamin D1. Zwar stellte sich später heraus, dass es sich um eine Mischung aus Vitamin D2 und Tachysterol handelte, doch die Arbeiten von Windaus führten zu einer intensiven Untersuchung der chemischen Struktur von Vitamin D. Die britische Forschergruppe unter der Leitung von Askew isolierte schließlich das reine Vitamin D2 (Ergocalciferol) aus pflanzlichen Quellen. Parallel dazu identifizierte Windaus in tierischen Geweben das heute bekannte Vitamin D3 (Cholecalciferol) und seine Vorstufe, 7-Dehydrocholesterin.
Für diese Arbeiten, die nicht nur Vitamin D3, sondern auch das verwandte Cholesterin und andere Sterole umfassten, erhielt Adolf Windaus 1928 den Nobelpreis für Chemie. Mit der Aufklärung der Struktur war der Weg frei für detailliertere biochemische und physiologische Studien. In den folgenden Jahrzehnten konzentrierte sich die Forschung auf die Frage, wie Vitamin D im Körper wirkt.
Ein Meilenstein war die Entdeckung von 1,25-Dihydroxyvitamin D, der aktiven Form von Vitamin D im Jahr 1967. Diese Form entsteht im Körper durch eine zweistufige Hydroxylierung von Cholecalciferol: zunächst in der Leber zu 25-Hydroxyvitamin D (25(OH)D), dann in der Niere zur hormonell wirksamen Substanz 1,25(OH)₂D. Diese Erkenntnisse eröffneten ein völlig neues Verständnis für die Wirkung von Vitamin D, nicht nur als Vitamin, sondern als Hormon mit systemischer Bedeutung.
Vitamin D beeinflusst nicht nur den Kalzium- und Phosphatstoffwechsel, sondern auch zahlreiche andere Prozesse im Körper. Es wirkt über spezifische Rezeptoren, sogenannte Vitamin-D-Rezeptoren (VDR), die in fast allen Geweben vorkommen, darunter im Darm, in den Knochen, im Immunsystem und sogar im Gehirn. Zahlreiche Studien belegen heute, dass ein Vitamin-D-Mangel nicht nur Rachitis oder Osteomalazie verursacht, sondern mit einem erhöhten Risiko für Infektionen, Autoimmunerkrankungen, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und bestimmte Krebsarten verbunden ist.
Die moderne Definition des Vitamin-D-Mangels umfasst heute die fehlerhafte Reifung von Chondrozyten und die unzureichende Mineralisierung der Wachstumsfuge. Dies führt zu einer weichen Knochenmatrix, die sich vor allem bei Kindern in Form von Rachitis äußert – mit typischen Verformungen der langen Röhrenknochen, vergrößerten Gelenken und Schmerzen. In schwereren Fällen kommt es zu Atemproblemen durch Brustkorbverformungen, die in chinesischen Texten als „Hühnerbrust“ beschrieben werden. Bei Mädchen führt ein Mangel zu Beckendeformitäten, die später bei Geburten Komplikationen verursachen.
Ein entscheidender Risikofaktor für Vitamin-D-Mangel ist die unzureichende Exposition gegenüber Sonnenlicht. Besonders in nördlichen Breitengraden, bei dunkler Hautpigmentierung, im Winter oder bei Menschen, die aus kulturellen oder religiösen Gründen ihre Haut bedecken, ist die körpereigene Synthese beeinträchtigt. Da Vitamin D nur in wenigen Nahrungsmitteln in ausreichender Menge vorkommt, ist die Ergänzung über angereicherte Produkte oder Supplemente in vielen Fällen notwendig.
Die Geschichte des Vitamin D zeigt eindrucksvoll, wie medizinische Beobachtung, biochemische Forschung und öffentliche Gesundheitsmaßnahmen zusammenwirken können. Vom früh dokumentierten Leiden bis zur strukturellen Aufklärung und therapeutischen Nutzung vergingen Jahrhunderte. Doch heute ist Vitamin D ein Paradebeispiel dafür, wie Wissenschaft langfristig zur Verbesserung der Lebensqualität beiträgt – nicht nur durch Prävention von Knochenerkrankungen, sondern auch durch die umfassende Bedeutung für viele Körpersysteme.
Quellen:
DeLuca, H. F. (2014). History of the discovery of vitamin D and its active metabolites. BoneKEy Reports, 3, 479. Quelle
Holick, M. F. (2023). The One-Hundred-Year Anniversary of the Discovery of the Sunshine Vitamin D3: Historical, Personal Experience and Evidence-Based Perspectives. Nutrients, 15(3), 593. Quelle
Jones, G. (2022). 100 YEARS OF VITAMIN D: Historical aspects of vitamin D. Endocrine Connections, 11(4), e210594. Quelle
universität-freiburg. (2025). Adolf Otto Reinhold Windaus – Universität Freiburg. Quelle