Trends im Bewegungsverhalten von Kindern und Jugendlichen in Deutschland
Bereits im Kindes- und Jugendalter ist körperliche Aktivität essenziell für die physische und psychische Gesundheit. Sie wirkt bis ins Erwachsenenalter präventiv gegen Erkrankungen wie Diabetes Typ II, Darmkrebs oder Herzinfarkt. Wenn Kinder bereits in der frühen Erziehung ein gesundheitsförderliches Bewegungsverhalten erlernen, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie als Erwachsene aktiv bleiben.
Gemäß den internationalen Bewegungsempfehlungen der WHO sollten Kinder und Jugendliche sich täglich mindestens 60 Minuten mit moderater Intensität (z.B. Radfahren à 15 km/h) bewegen. Studien zeigen, dass es nicht zwingend erforderlich ist, diese 60 Minuten täglich zu erreichen; der wöchentliche Durchschnitt ist ebenso vorteilhaft. Zusätzlich sollten sie an mindestens drei Tagen pro Woche intensive Aktivitäten ausführen, die Ausdauer und Muskelkraft stärken und große Muskelgruppen beanspruchen. Solche Aktivitäten erhöhen in der Regel deutlich die Herzfrequenz. Ebenso wird empfohlen, die Zeit im Sitzen zu begrenzen. Trotz der klaren gesundheitlichen Vorteile erfüllen viele Kinder und Jugendliche weltweit und in Deutschland diese Bewegungsempfehlungen nicht.
Eine internationale Analyse, die auf Daten von 298 bevölkerungsbasierten Umfragen basiert, zeigt, dass 22,4% der 11- bis 17-jährigen Jungen und 15,3% der gleichaltrigen Mädchen die Bewegungsempfehlungen nicht erreichen. Deutschland liegt mit 20,3% bzw. 12,1% unterhalb des weltweiten Mittels. Zudem zeigen sich geschlechtsspezifische Unterschiede im Bewegungsverhalten: Mädchen bewegen sich statistisch gesehen weniger als Jungen. Es gibt auch eine positive Korrelation zwischen sozioökonomischem Hintergrund und Bewegung; Kinder aus schwächeren sozioökonomischen Verhältnissen sind weniger aktiv.
Die Entwicklung des Bewegungsverhaltens von Kindern und Jugendlichen wurde bereits in mehreren Studien untersucht. Besonders die HBSC-Studie (Health Behaviour in School-aged Children) beschäftigt sich ausführlich mit diesem Thema. In den Befragungswellen 2009/2010 und 2017/2018 wurden leichte Rückgänge bei der Erfüllung der Bewegungsempfehlungen sowie der sportlichen Aktivitäten bei Mädchen und Jungen festgestellt. Ebenso stieg der Anteil der wenig körperlich aktiven Kinder und Jugendlichen leicht an. Diese Daten stammen jedoch aus der Zeit vor COVID-19. Die Lockdowns hatten erheblichen Einfluss auf das Bewegungsverhalten; Studien zeigen einen Verlust von 10,8 bis 91 Minuten körperlicher Aktivität pro Tag.
Die HBSC-Studie ist eine Querschnittsstudie, die alle vier Jahre an Schulen durchgeführt wird und SchülerInnen im Alter von etwa 11, 13 und 15 Jahren befragt, was an deutschen Schulen den Klassenstufen 5, 7 und 9 entspricht. Die Befragungen fanden in den Schuljahren 2009/10, 2013/14 und im Jahr 2022 statt. Bis auf Nordrhein-Westfalen nahmen SchülerInnen aus ganz Deutschland teil, insgesamt mehr als 21.000. Die körperliche Aktivität der SchülerInnen wurde durch die Frage gemessen, an wie vielen Tagen in der vergangenen Woche sie mindestens 60 Minuten körperlich aktiv waren. Drei Indikatoren wurden daraus gebildet: tägliche Aktivität (Bewegungsempfehlung erreicht), geringe Aktivität (null bis zwei Tage aktiv) und hohe Aktivität (fünf oder mehr Tage aktiv). Zusätzlich wurde die sportliche Aktivität erfasst, indem gefragt wurde, wie oft sie in ihrer Freizeit Sport treiben, der sie außer Atem oder ins Schwitzen bringt. Die Antworten reichten von „jeden Tag“ bis „nie“ und wurden für die Analysen in „mindestens vier Tage pro Woche“ und „weniger als vier Tage pro Woche“ aufgeteilt.
Die Erhebungswelle 2022 der HBSC-Studie zeigt, dass 10,8% der Mädchen, 20,9% der Jungen und 12,4% der genderdiversen Jugendlichen die WHO-Bewegungsempfehlungen erfüllen. Ältere Jugendliche erreichen diese Vorgabe seltener. Außerdem sind 49,6% der 11-Jährigen an fünf bis sieben Tagen pro Woche mindestens 60 Minuten aktiv, während nur 23,6% der 15-jährigen gender-diversen Jugendlichen dies erreichen. Ein Drittel der Mädchen und die Hälfte der gender-diversen Jugendlichen sind an weniger als drei Tagen pro Woche körperlich aktiv. Jungen zeigen hier keine Altersunterschiede. Fast die Hälfte der Jungen (49,8%) sind an mindestens vier Tagen pro Woche sportlich aktiv, gegenüber 28,2% der Mädchen und 19,1% der gender-diversen Jugendlichen.
Betrachtet man den Zeitverlauf, so erreichen Mädchen die Vorgaben der WHO-Bewegungsempfehlungen seltener über die Jahre, mit einem leichten Anstieg von 2017/18 bis 2022. Der Anteil der Mädchen mit geringer körperlicher Aktivität ist von 2009/10 bis 2022 um 8,7 Prozentpunkte gestiegen, während er bei Jungen stabil blieb. Bei hoher körperlicher Aktivität gab es bei Mädchen einen Rückgang um 6,1%, bei Jungen um 0,6%. Auch bei sportlicher Aktivität wurde ein Rückgang festgestellt, besonders deutlich bei Mädchen von 2013/14 bis 2017/18.
Zusammenfassend lässt sich beobachten, dass Mädchen weniger sportlich aktiv sind und sich weniger bewegen als Jungen. Mit zunehmendem Alter nimmt die Aktivität bei beiden Geschlechtern ab. Gender-diverse Jugendliche weisen die niedrigsten Werte für körperliche und sportliche Aktivität auf. Zwischen 2009/2010 und 2022 gab es nur geringe Veränderungen bei der Erfüllung der Bewegungsempfehlungen und der hohen körperlichen Aktivität. Nur ein Zehntel der Mädchen und ein Fünftel der Jungen erreichen die empfohlene Bewegungszeit von 60 Minuten. Besonders bei Mädchen hat der Bewegungsmangel zugenommen. Es besteht weiterhin ein hoher Bedarf an effektiven Maßnahmen zur Bewegungsförderung im Kindes- und Jugendalter. Gender-diverse Jugendliche sind besonders wenig aktiv. Nur 4,5% der 15-jährigen gender-diversen Jugendlichen erreichen die Bewegungsempfehlung. Daten aus anderen Studien und die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie zeigen, dass die Bewegungszeiten weiter zurückgegangen sind. Insgesamt gibt es signifikante geschlechtsspezifische Unterschiede in der sportlichen Aktivität, wobei Jungen häufiger sportlich aktiv sind als Mädchen.
Daraus resultiert ein großer Bedarf an gezielten Bewegungsförderungsmaßnahmen, um die körperliche Aktivität bei Kindern und Jugendlichen zu steigern.
Quellen:
Bilz, L., Sudeck, G., Bucksch, J., Klocke, A., Kolip, P., Melzer, W., Sieberer-Ravens, U., & Richter, M. (Hrsg. ). (2016). Schule und Gesundheit Ergebnisse des WHO-Jugendgesundheitssurveys Health Behaviour in School-aged Children. Beltz Juventa.
Bucksch, J., Häußler, A., Schneider, K., Finne, E., Schmidt, K., Dadacynski, K., & Sudeck, G. (2020). Bewegungs- und Ernährungsverhalten von älteren Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Querschnittergebnisse der HBSC-Studie 2017/18 und Trends. Journal of Health Monitoring, 5 (3). Quelle
Bucksch, J., Möckel, J., Kaman, A., & Sudeck, G. (2024). Bewegungsverhalten von älteren Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Ergebnisse der HBSC-Studie 2022 und Zeitverläufe seit 2009/10. Journal of Health Monitoring, 9 (1). Quelle