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Haut-zu-Haut-Kontakt: Ein wertvoller Start ins Leben für Mutter und Kind

Haut-zu-Haut-Kontakt (Skin-to-Skin-Contact, SSC), auch bekannt als „Känguru-Pflege“ (KC), ist eine bewährte Praxis in der Neonatalperiode und sollte als Standardpflege für alle Neugeborenen etabliert werden. Die umfassende Evidenz für SSC zeigt zahlreiche Vorteile für Mutter und Kind. Laut dem Cochrane Review „Early skin-to-skin contact for mothers and their healthy newborn infants“ von 2016 unterstützt sofortiger oder früher Haut-zu-Haut-Kontakt die Förderung des Stillens. Für die Mutter ergeben sich Vorteile wie eine frühere Ausstoßung der Plazenta, reduzierte Blutungen, gesteigertes Selbstvertrauen beim Stillen und ein niedrigeres Stresslevel. Der Anstieg des Oxytocinspiegels in der ersten Stunde nach der Geburt trägt zudem zur Mutter-Kind-Bindung bei.

Für das Baby vermindert SSC die negativen Folgen des Geburtsstresses, verbessert die Thermoregulation in den ersten Tagen und reduziert das Weinen. Zudem fördert Haut-zu-Haut-Kontakt das Stillen und verringert die Zufütterung mit Formelmilch im Krankenhaus, was zu einem erfolgreicheren ersten Stillen und einem optimaleren Saugen führt. Die Beweise sind so überzeugend, dass die 2018 überarbeitete WHO/UNICEF-Initiative „Zehn Schritte zum erfolgreichen Stillen“ diese Praxis unterstützt. Auch die Canadian Paediatric Society hebt weitere Vorteile von SSC hervor, darunter eine bessere Herz-Lungen-Stabilität sowie verbesserte Immunität und positive Effekte auf das Mikrobiom.

In den ersten Stunden nach der Geburt erleben Mutter und Neugeborenes eine besonders wertvolle Zeit, eine sensible Phase, die biologisch vorbestimmt ist, insbesondere nach einer vaginalen Geburt. Dieser Zeitraum wird durch hohe Oxytocinspiegel bei der Mutter und hohe Katecholaminspiegel beim Neugeborenen unterstützt. Haut-zu-Haut-Kontakt nach der Geburt löst beim Neugeborenen einen internen Prozess aus, der durch neun instinktive Stadien beschrieben wird:

 

Phase

Verhalten

1. Geburtsweinen

Intensiver Schrei kurz nach der Geburt, Übergang zur Atemluft.

2. Entspannungsphase

Das Baby ruht. Keine Aktivität von Mund, Kopf, Armen, Beinen oder Körper.

3. Erwachungsphase

Das Baby zeigt Anzeichen von Aktivität. Kleine Bewegungen des Kopfes: auf und ab, von Seite zu Seite. 
Kleine Bewegungen der Gliedmaßen und Schultern.

4. Aktive Phase

Das Baby bewegt Gliedmaßen und Kopf, bestimmtere Bewegungen. Suchbewegungen,
'stoßende' Bewegungen mit den Gliedmaßen ohne Verschiebung des Körpers.

5. Ruhephase

Das Baby ruht, mit etwas Aktivität wie Mundaktivität, saugt an der Hand.

6. Krabbelphase

Das Baby zeigt Bewegungen, die dem Krabbeln ähneln.

7. Vertrautmachung  

Das Baby hat die Brustwarze erreicht und positioniert den Mund, um die Brustwarze zu berühren und zu lecken.

8. Saugphase

Das Baby hat die Brustwarze im Mund und beginnt zu saugen.

9. Schlafphase

Das Baby schließt die Augen und schläft ein.

Tabelle 1 Neun Stufen des Neugeborenen (Widström et al., 2019)

 

Prolaktin ist das wichtigste milchproduzierende Hormon, während Oxytocin eine Schlüsselrolle im mütterlichen Verhalten und bei der Bindung direkt nach der Geburt spielt. Tierstudien zeigen, dass eine Trennung von Mutter und Lamm nach der Geburt dazu führt, dass die Mutter ihr Lamm ablehnt, wenn sie später wiedervereint werden. Durch Simulation einer Geburt bei der Wiedervereinigung kann jedoch die Oxytocinfreisetzung im Mutterschaf erhöht werden, was zur Akzeptanz ihres Lamms führt.

Beim Menschen wird in der ersten Stunde nach der Geburt eine Oxytocinwelle im Blutkreislauf der Mutter freigesetzt, um die Gebärmutter zu kontrahieren, die Plazenta auszustoßen und den Blutverlust zu verringern. Diese Freisetzung von Oxytocin geht wahrscheinlich mit einer intensiven Aktivierung der parvozellulären Oxytocin-Neuronen im Gehirn einher, was die mütterliche Sensitivität für das Neugeborene erhöht. Dies zeigt sich durch den Wunsch der Mutter, ihr Kind während des Krankenhausaufenthalts nahe bei sich zu behalten, wenn das Neugeborene während der ersten Stunde an ihrer Brust gesaugt hat.

Der Geruch des Säuglings zieht die Mutter an und erleichtert die chemische Kommunikation zwischen beiden. Dies unterstreicht die Bedeutung des Zugangs der Mutter zum nackten Kopf ihres Neugeborenen, um ihren Säugling zu riechen. Dies ist ein Beispiel für die frühe symbiotische biologische Beziehung zwischen Mutter und Kind.

Das Neugeborene hat nach einer normalen, vaginalen Geburt einen hohen Katecholaminspiegel. Diese sind in den ersten 30 Minuten nach der Geburt am höchsten und stärken das Gedächtnis und das Lernen. Bei Neugeborenen, die weniger als 24 Stunden alt sind, erhöht der Geruch von Muttermilch das oxygenierte Hämoglobin über dem Riechhirn, gemessen mit Nahinfrarotspektroskopie. Je näher an der Geburt, desto mehr oxygeniertes Hämoglobin wurde über dem Riechhirn beobachtet. Diese erhöhte Sensitivität für den Geruch von Muttermilch, insbesondere kurz nach der Geburt, weist auf eine physiologisch basierte frühe sensible Phase beim Neugeborenen hin. Diese Reaktion passt zu den biologisch bedingten Verbesserungen des Brustgeruchs der Mutter durch die Vergrößerung der Oberfläche der Areola und die Sekretionen der Montgomery-Drüsen zur gleichen Zeit. Daher ist die erhöhte frühzeitige Sensitivität für den Geruch von Muttermilch in Anwesenheit hoher Katecholaminspiegel ein Hinweis auf eine physiologisch basierte frühe sensible Phase beim Neugeborenen.

Zusammenfassend wird deutlich, wie wertvoll die Nähe bereits in den ersten 60 Minuten nach der Geburt ist. In dieser Zeit wird eine Mutter-Kind-Bindung aufgebaut, die direkt mit dem Oxytocinspiegel der Mutter in Verbindung steht. Zudem betonen mehrere wissenschaftliche Quellen die Bedeutung des Hautkontakts zwischen Mutter und Kind und die zahlreichen Vorteile dieser Praxis. Für alle Eltern kann ich daher nur empfehlen: Genießt die Zeit mit eurem Neugeborenen Haut an Haut. Die Vorteile sprechen für sich und sorgen für das Wohlbefinden von Mutter und Kind.

 

Quellen: 

Canadian Paediatric Society. (2024). Skin-to-skin care (SSC) for term and preterm infants | Canadian Paediatric Society. Quelle

Moore, E. R., Bergman, N., Anderson, G. C., & Medley, N. (2016). Early skintoskin contact for mothers and their healthy newborn infants. Cochrane Database of Systematic Reviews, 11. Quelle

Widström, A.-M., Brimdyr, K., Svensson, K., Cadwell, K., & Nissen, E. (2019). Skin-to-skin contact the first hour after birth, underlying implications and clinical practice. Acta Paediatrica, 108(7), 1192–1204. Quelle

World Health Organization 2022. (2024). Nutrition and Food Safety. Quelle

World Health Organization & United Nations Children’s Fund (UNICEF). (2018). Implementation guidance: Protecting, promoting and supporting breastfeeding in facilities providing maternity and newborn services: the revised baby-friendly hospital initiative. World Health Organization. Quelle